Sonntag, 24. Januar 2016

Eine Art Abschiedsbrief

Ich bin mit 22 Jahren am Freitag, den 22. Januar, zum ersten Mal in meinem Leben mit dem Tod in Berührung gekommen.

Meine Großeltern leben alle seit Jahren nicht mehr. Aber von ihrem Tod zu hören, löste in mir nichts außer einem Schulterzucken aus. Sie hatten im Ausland gelebt. Die Male, die ich sie gesehen hatte, kann man an einer Sägeunfall-Hand abzählen. Ihr Leben und ihr Tod – wie für mich bisher jedes Leben und jeder Tod – waren für mich eher ein theoretisches Konzept, eine Idee.

Ich kam mit dem Tod zum ersten Mal in Berührung, als Smoky diesen Morgen zwischen Hausflur und Wohnzimmer lag, alle Viere von sich gestreckt wie eine Comic-Katze. Diese Pose löste in meinem jungfräulichen Hirn den Gedanken aus: "Das muss doch unbequem sein ... für ein Tier, das lebt."

Ich hob seinen Kopf an, der schlaff hinunterhing. Die Augen waren offen und milchig. Ich zog seine Augenlider weiter auf. Keine Reaktion. Ich zog ihn sogar am Schwanz – welche Katze lässt sich das gefallen, außer sie ist zu weit weg, um das zum merken?

Nur eine Blasenentzündung, hieß es zunächst. Nichts, was man nicht mit einer Spritze Antibiotikum und etwas sündhaft teurem Feliwell (mehr Cat-Lady-Merchandise als echte Medizin) in den Griff kriegt.

Nein, ich will an dieser Stelle keine Anklagen erheben gegen Tierärzte, die erst bei einem lebensgefährlichen Harnwegsverschluss Alarm schlugen. Sie hatten den ganzen Dreck herausgeholt, alles geöffnet. Soweit ich das verstanden habe. Ich war nicht dabei, das hatten mir meine Eltern überliefert, weil ich in der Arbeit war und danach unterwegs. Ich wurde richtig gehend aggressiv, als mein Vater mich mitten auf der Arbeit unter Tränen anrief, um mir zu sagen, dass es Smoky nicht gut ging. Ich verstand den Aufstand nicht. Tiere können doch auch krank und wieder gesund werden. Und überhaupt sind alle unsterblich.
 
Sie schickten Smoky heim und meinten, es gäbe eine winzig kleine Überlebenschance. Was für meine Eltern und mich direkt übersetzt wurde in: "Er wird wieder gesund." Wieso auch nicht? Smoky war erst drei! Und einem Kater, der es schaffte, ein Snackwürstchen samt Verpackung zu verschlingen und intakt wieder auszuscheiden (Katze intakt, Packung auch) – dem passiert schon nichts.

Ich will nicht über die Krankheit reden. Dazu habe ich auch nicht viel zu sagen. Als es Smoky anfing, schlecht zu gehen, war ich in der Arbeit, in der Berufsschule, mit Freunden unterwegs oder bei meinem Freund. Es gab genug Tage, an denen ich Smoky nicht zu Gesicht bekam oder nur als grauen Schatten in meinem Gesichtsfeld wahrnahm; das Vibrieren des Schnurrens unterschied ich kaum vom Summen des Computers, wenn ich Skyrim spielte und er zuschaute. Es gab Tage, da hatte sich Smoky in seiner ureigenen Manier auf den Rücken gewälzt, um den Bauch gekrault zu bekommen, und ich war zu faul, ihn zu streicheln. Die Katze zu streicheln, die in mein Bett kam, mein Gesicht mit der Pfote anstupste und meinen Brustkorb tretelte. Während ich das schreibe, liege ich erkältet im Bett und weiß, niemand wird auf meinem ohnehin schweren Brustkorb treteln. Niemand wird vom Schreibtisch auf die Kommode und von dort aus auf meinen Kleiderschrank springen in einer solch übermenschlichen – überkätzischen? - Manier, dass ich mich aufgehört hatte, zu wundern, und daran gewohnt war, dass nachts eine graue Gestalt mit leuchtenden Augen auf meinem Schrank wachte, sich putzte, um einige Stunden später mit einem unverwechselbaren "Pompf!" hinunter zu hüpfen. Dieses "Pompf" klingt mit jedem Tastenschlag in meinen Ohren.

Noch immer lasse ich meine Schlafzimmertür einen Spalt offen. Damit der Kater frei durch die Wohnung tigern kann und uns nicht mit Protestkonzerten wachhält, wenn er irgendwo ausgesperrt ist.
Smoky, du warst vielleicht nicht ganz bei Trost, aber dafür gut bei Stimme! Ich hoffe, deine Stimmkunst werden die Rockstars da oben, wo es vielleicht noch verqualmter ist als in unserer Wohnung, zu schätzen wissen. In Menschenjahren wärst du genau 27. Dummer Trend. Katzen sind doch normalerweise keine Mitläufer?!

Ich habe immer noch ein schlechtes Gewissen, Teller irgendwo herumstehen zu lassen. "Die Katze soll nicht an die Essenreste!", erwarte ich, meine Mutter zu hören. Aber es kommt kein Schimpfen, nur gelegentlich weinen. Jetzt lasse ich Pizzakartons herumstehen. Ich lasse alles stehen und liegen, wie es gerade passt. Keiner kann darauf herumtrampeln, darauf pinkeln, es zerkauen. Wie das Kabel der neuen Sony-Kopfhörer, das ich einen Tag nach Heiligabend sauber durchgekaut vorkam. Sie liegen als Mahnmal auf den Tisch, und ein Teil fragt sich: Wozu? Und wenn, hättest du dir kein besseres Abschiedsgeschenk ausdenken können? Beim Zerstören warst du doch kreativ.

Jeder weiß, das Internet ist voller Katzen. Aber wisst ihr, wie voll? Vielleicht sollte ich mich endlich aus der Facebookgruppe für Perser-Liebhaber abmelden. Zumindest, bis die Fellkugeln wieder anonyme Fellkugeln werden und nicht Katzen, die nicht du sind.

Ich bin abgeschweift. Ich glaube, das ist so, wenn man aufgewühlt ist. Eigentlich wollte ich über den Tod reden. Bisher sah der Tod für mich so aus: Leute, die man eh nie zu Gesicht bekommt, sind endgültig weg.

Wusstest du damals schon, wohin die Reise ging?
Der Tod ist das Gummi in deinen Gliedern, wie du in meinen Armen hingst. Auf einmal so schwer – daher kommt der Ausdruck "totes Gewicht". Der Tod ist Leere, die schwer wiegt. Ein intakter Körper, den man schütteln möchte, "Wach auf!" Es kann doch nicht sein, dass etwas gleichzeitig da und weg ist! Was weg ist, ist weg!
Der Tod ist, auf ein "Pompf!" zu warrten, das niemals mehr kommt. Der Tpd sind alltägliche Gewöhnheiten, die man automatisch ausführt, bis ihre Sinnlosigkeit einen einholt. Der Tod ist, Türen offen zu lassen, durch die niemand will.
...
Ich weiß, der Tod eines Haustiers mag für manche ein dämlicher Anlass sein, das zu sagen, aber: Ihr Menschen da draußen? Ihr Leute, die ich liebhabe? Bitte fahrt vorsichtig. Achtet auf eure Ernährung, geht regelmäßig zum Arzt. Passt auf euch auf.