(Disclaimer: Die nachfolgende Szene und alle darin agierenden
Charaktere sind frei erfundene, personifizierte, überzeichnete
Verallgemeinerungen. Verklagt mich doch.)
Nach monatelangem Heranpirschen, geduldigem Ausharren in Chatrooms
und dem Anhören tränenreicher Beichten im Freundeskreis bin ich dem
Nest einer fast ausgestorbenen Spezies auf die Schliche gekommen: den
netten Kerlen.
Nach dem Vorbild der Anonymen Alkoholiker treffen sie sich
regelmäßig in einer Versammlung von Leidensgenossen, wo sie
gegenseitig Schicksalsschläge beklagen und Strategien ausarbeiten,
um in der von Oberflächlichkeit dominierten herzlosen Welt nicht
unterzugehen.
Der Leiter der Sitzung? Therapierunde?, ein untersetzter Mann mit
Brille und schütteren Haaren, empfängt mich herzlich. Sein
Händedruck ist weich und sanft, so als fürchtete er, das filigrane
Gebilde meiner Hand zu beschädigen.
Umso energischer ist sein
Monolog: "Schön, dass Sie heute hier sind! Ich finde es eine
tolle Sache, dass sich eine Frau bereit erklärt, mal die Perspektive
jener Männer in den Fokus zu rücken, die immer auf der Strecke
bleiben, nur weil sie keine sexistischen Alphamännchen sein können
oder wollen."
"Ähm, danke. Ich gebe mir Mühe."
"Nein, wirklich, Chapeau! Normalerweise sind Frauen ja
voreingenommen und scheren alle Männer über einen Kamm wegen ein
paar Arschlöchern, die ihnen das Herz gebrochen haben. Dabei lassen
sie all die anständigen Kerle außer Acht, die in der Friendzone
versauern! Somit wird Ihre Reportage einen wichtigen Beitrag zur
Aufklärung leisten!"
"Das war der Plan, ja. Ich setze mich dann mal da hinten
hin..."
"Kommen Sie, ich hol Ihnen einen bequemeren Stuhl! Und kann
ich Ihnen einen Kaffee und einen Donut bringen?"
"Nein, danke, machen Sie sich keine Umstände wegen mir."
"Ach, Unsinn! Sie sind es nur nicht gewohnt, wie eine Dame
behandelt zu werden. Die Donuts sind ausgezeichnet!"
"Daran liegt's nicht, ich will aber wirklich keinen Donut."
"Bestimmt achten Sie nur auf Ihre Figur, wie die
oberflächliche Gesellschaft es Ihnen diktiert. Aber bei uns müssen
Sie das nicht! Wir akzeptieren Frauen in jeder Form!"
"Das mag sein, aber ich leide unter Glutenunverträglichkeit."
"Warum haben Sie das nicht im Vorfeld gesagt? Ich hätte für
Sie glutenfreies Gebäck bestellt."
Schließlich schicke ich mich an, mit meinem Notizblock in einer
Ecke des Raumes Platz zu nehmen. Ebenso wie mein Donut-Verzicht
erweist sich diese Aktion als indiskutabel: Als Ehrengast soll ich
mich mit in die Runde setzen und zur Diskussion beitragen, falls die
gebeutelten Romantiker Fragen an die Botschafterin aus dem
feindlichen Lager haben.
Nachdem ein Nachzügler eingetrudelt ist (sein Tempo wird wohl
durch seine füllige Statur gebremst), beginnt die Sitzung.
"Gentlemen, neben unserer Besucherin aus der Presse dürfen
wir heute ein neues Mitglied in unserer Runde begrüßen. Erzähl
doch bitte etwas zu deiner Person."
Der korpulente Neuzugang räuspert sich. "Also, ich heiße
Marvin und meine Frau hat mich verlassen."
Ein mitfühlendes "Oooh" geht durch die Runde."
"Warum hat deine Frau dich verlassen, Marvin?"
"Vor zwei Wochen ist sie mit so einem überzüchteten
Fitnessviech durchgebrannt. Hat nur eine Notiz hinterlassen, dass sie
sich mit mir nicht mehr als Frau fühlt. Nur weil ich nicht so ein
körperfixierter Bock bin, der nur ans Pumpen und F*** denkt!"
Nochmal betroffenes Raunen, ehe der Leiter beschwichtigt: "Es
liegt nicht an dir, sie hat nur deine Qualitäten als Mensch nicht zu
schätzen gewusst, weil sie, wie viele Frauen, von dem Aussehen von
Arschlöchern verblendet ist. Sie wird schon sehen, was sie davon
hat."
"Ja! Ich verstehe auch nicht, was er an so einer Schabracke
wie ihr findet. Ihr kann man doch nicht mal auf den Arsch hauen, ohne
dass der eine halbe Stunde nachwabbelt!"
"Der Kerl verlässt sie doch eh bald für eine jüngere,
Hübschere", murmelt ein Leidensgenosse.
"Ja, Karma is a bitch! Und ich dachte noch, sie hätte
wenigstens einen lieben Charakter, wenn schon das Aussehen zum Kotzen
war ..."
"Und Jürgen, wie geht es bei dir mit deiner besten Freundin
voran?"
Auf diese Frage hin meldet sich ein schlaksiger junger Mann, eine
Verkörperung des Nerd-Archetyps, zu Wort. Sein grimmiges Gesicht
glänzt fettig im trüben Licht der Lampe. "Naja, ihr Macker hat
vor zwei Wochen mit ihr Schluss gemacht."
"Na, das ist doch eine Chance für dich."
"Eben, dachte ich zuerst auch, aber Frauen sind ja so dumm!
Ich habe ihr sogar Andeutungen gemacht, dass es da einen netten Kerl
gibt, der sie auf Händen tragen würde, aber sie rafft es nicht!"
"Wie hat sie denn reagiert?"
"Ach, sie heult bloß rum, dass sie ihn ja noch so liebt und
dass sie keinen anderen haben will. Ich meine, es ist schon zwei
Wochen her! Sie sollte doch langsam hinwegkommen und sich nach dem
Richtigen umschauen!"
"Frau Reporterin, was meinen Sie denn dazu?"
"Naja", sage ich zögernd, "du musst vielleicht
bedenken, manche Menschen brauchen länger, um eine Trennung zu
verarbeiten."
"So ein Schwachsinn! Als damals die Susi aus dem Chat mit mir
Schluss gemacht hat, habe ich ihr nicht hinterher getrauert, die war
eh eine dumme Kuh, die keine Ahnung vom Zocken hatte. Da hab ich
gleich die Melanie angeschrieben ..."
"Ja, aber deine beste Freundin muss ja nicht genauso denken
wie du. Vielleicht braucht sie im Moment ja erstmal deinen Beistand
als Kumpel."
Das hätte ich nicht sagen sollen.
"Immer die Friendzone!", wettert Jürgen. "Ich
würde alles für sie tun, aber was bringt es mir? Sie läuft ja
immer irgendwelchen Typen hinterher, die keine Ahnung haben, wie man
eine Frau behandelt. Und mir sagt sie immer, ich sei nicht ihr Typ
..."
"Dann vergiss sie!", mischt sich ein netter Kerl ein,
der mit verschränkten Armen neben mir sitzt. "Genieß dein
Single-Leben, dann kann dich wenigstens kein Weib ausnehmen, so wie
mich."
"Erzähl doch der Dame von der Presse, was du erlebst hast."
Der Betroffene lehnt sich eindringlich zu mir vor. "Naja,
manchmal glaube ich, die Weiber stehen wirklich nur auf Kerle, die
sie wie Dreck behandeln. Und die Kerle, die nett zu ihnen sind,
lassen sie irgendwann fallen und krallen sich so ein Arschloch."
"Wie meinst du das?"
"Naja, meine Ex zum Beispiel. Ich habe alles für sie
gemacht, alles für sie gezahlt, was sie wollte. Sie brauchte mich
nicht einmal darum bitten, ich habe ihr alles geholt. Und was macht
sie? Lässt mich sitzen, weil sie meint, sie kommt mit meinem
Charakter nicht klar! Als ob Taten nicht lauter sprechen als Worte!"
"Aber irgendeinen Grund musste es ja geben", werfe ich
kleinlaut ein.
"Ach, sie hat irgendwas geblubbert von wegen, sie erträgt
meine Stimmungsschwankungen nicht. Nur weil ich ein paar mal
ausgetickt bin, weil ich es nicht mehr aushalten konnte!"
"Konntest du denn nicht mit ihr über deine Probleme reden?"
"Keine Ahnung, ich war ja zu sehr damit beschäftigt, ihr
zuzuhören, wenn sie Probleme hat!"
"Aber sollte es kein Austausch unter Partnern sein ...?"
"Ich wäre doch ein Waschlappen, wenn ich ständig so
rumheulen würde wie sie. Und überhaupt, warum kann sie mir nicht
einfach verzeihen? Ich habe mich jedes Mal entschuldigt, hab ihr
ständig Geschenke gemacht."
Langsam verliere ich die Geduld und wende mich an den
Diskussionsleiter.
"Hören Sie, ich habe schon viele wertvolle Einblicke
gesammelt, aber jetzt muss ich langsam gehen."
"Bleiben Sie doch noch bis zum Ende der Sitzung, Sie haben
doch noch gar nicht alle Schicksale gehört!"
Der schenkungsfreudige Choleriker grätscht dazwischen: "Da
sieht man es wieder, keine Frau hat Zeit, keine Frau interessiert
sich für unsere Probleme, aber wir müssen immer springen!"
"Am Ende kommen wir in dem Artikel noch total klischeehaft
weg", setzt der verhinderte Adonis hinzu, "wie ein Haufen
Verlierer, die einfach keine Ahnung haben von Frauen."
"Bestimmt nicht", versichere ich, "ich habe mir ein
objektive Bild gemacht, es ist nur, ich muss wirklich los."
"Bestimmt zu einem Date!", verdreht der Nerd die Augen.
"Nein, aber heute ist noch ein Raid geplant", erwidere
ich. Beim Verlassen des Raums bin ich um eine Handynummer reicher.
Herzlichen Dank für die Inspriation an den erzählmirnix Blog, dessen Autorin die Nette-Kerl-Problematik in einem Comic wesentlich knapper zusammengefasst hat als ich Plappertasche es jemals könnte.
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