Sonntag, 11. Mai 2014

I know that feel, bro - die Anonymen Netten Kerle

(Disclaimer: Die nachfolgende Szene und alle darin agierenden Charaktere sind frei erfundene, personifizierte, überzeichnete Verallgemeinerungen. Verklagt mich doch.)


Nach monatelangem Heranpirschen, geduldigem Ausharren in Chatrooms und dem Anhören tränenreicher Beichten im Freundeskreis bin ich dem Nest einer fast ausgestorbenen Spezies auf die Schliche gekommen: den netten Kerlen.
Nach dem Vorbild der Anonymen Alkoholiker treffen sie sich regelmäßig in einer Versammlung von Leidensgenossen, wo sie gegenseitig Schicksalsschläge beklagen und Strategien ausarbeiten, um in der von Oberflächlichkeit dominierten herzlosen Welt nicht unterzugehen.


Der Leiter der Sitzung? Therapierunde?, ein untersetzter Mann mit Brille und schütteren Haaren, empfängt mich herzlich. Sein Händedruck ist weich und sanft, so als fürchtete er, das filigrane Gebilde meiner Hand zu beschädigen.
Umso energischer ist sein Monolog: "Schön, dass Sie heute hier sind! Ich finde es eine tolle Sache, dass sich eine Frau bereit erklärt, mal die Perspektive jener Männer in den Fokus zu rücken, die immer auf der Strecke bleiben, nur weil sie keine sexistischen Alphamännchen sein können oder wollen."
"Ähm, danke. Ich gebe mir Mühe."
"Nein, wirklich, Chapeau! Normalerweise sind Frauen ja voreingenommen und scheren alle Männer über einen Kamm wegen ein paar Arschlöchern, die ihnen das Herz gebrochen haben. Dabei lassen sie all die anständigen Kerle außer Acht, die in der Friendzone versauern! Somit wird Ihre Reportage einen wichtigen Beitrag zur Aufklärung leisten!"
"Das war der Plan, ja. Ich setze mich dann mal da hinten hin..."
"Kommen Sie, ich hol Ihnen einen bequemeren Stuhl! Und kann ich Ihnen einen Kaffee und einen Donut bringen?"
"Nein, danke, machen Sie sich keine Umstände wegen mir."
"Ach, Unsinn! Sie sind es nur nicht gewohnt, wie eine Dame behandelt zu werden. Die Donuts sind ausgezeichnet!"
"Daran liegt's nicht, ich will aber wirklich keinen Donut."
"Bestimmt achten Sie nur auf Ihre Figur, wie die oberflächliche Gesellschaft es Ihnen diktiert. Aber bei uns müssen Sie das nicht! Wir akzeptieren Frauen in jeder Form!"
"Das mag sein, aber ich leide unter Glutenunverträglichkeit."
"Warum haben Sie das nicht im Vorfeld gesagt? Ich hätte für Sie glutenfreies Gebäck bestellt."


Schließlich schicke ich mich an, mit meinem Notizblock in einer Ecke des Raumes Platz zu nehmen. Ebenso wie mein Donut-Verzicht erweist sich diese Aktion als indiskutabel: Als Ehrengast soll ich mich mit in die Runde setzen und zur Diskussion beitragen, falls die gebeutelten Romantiker Fragen an die Botschafterin aus dem feindlichen Lager haben.
Nachdem ein Nachzügler eingetrudelt ist (sein Tempo wird wohl durch seine füllige Statur gebremst), beginnt die Sitzung.


"Gentlemen, neben unserer Besucherin aus der Presse dürfen wir heute ein neues Mitglied in unserer Runde begrüßen. Erzähl doch bitte etwas zu deiner Person."
Der korpulente Neuzugang räuspert sich. "Also, ich heiße Marvin und meine Frau hat mich verlassen."
Ein mitfühlendes "Oooh" geht durch die Runde."
"Warum hat deine Frau dich verlassen, Marvin?"
"Vor zwei Wochen ist sie mit so einem überzüchteten Fitnessviech durchgebrannt. Hat nur eine Notiz hinterlassen, dass sie sich mit mir nicht mehr als Frau fühlt. Nur weil ich nicht so ein körperfixierter Bock bin, der nur ans Pumpen und F*** denkt!"
Nochmal betroffenes Raunen, ehe der Leiter beschwichtigt: "Es liegt nicht an dir, sie hat nur deine Qualitäten als Mensch nicht zu schätzen gewusst, weil sie, wie viele Frauen, von dem Aussehen von Arschlöchern verblendet ist. Sie wird schon sehen, was sie davon hat."
"Ja! Ich verstehe auch nicht, was er an so einer Schabracke wie ihr findet. Ihr kann man doch nicht mal auf den Arsch hauen, ohne dass der eine halbe Stunde nachwabbelt!"
"Der Kerl verlässt sie doch eh bald für eine jüngere, Hübschere", murmelt ein Leidensgenosse.
"Ja, Karma is a bitch! Und ich dachte noch, sie hätte wenigstens einen lieben Charakter, wenn schon das Aussehen zum Kotzen war ..."


"Und Jürgen, wie geht es bei dir mit deiner besten Freundin voran?"
Auf diese Frage hin meldet sich ein schlaksiger junger Mann, eine Verkörperung des Nerd-Archetyps, zu Wort. Sein grimmiges Gesicht glänzt fettig im trüben Licht der Lampe. "Naja, ihr Macker hat vor zwei Wochen mit ihr Schluss gemacht."
"Na, das ist doch eine Chance für dich."
"Eben, dachte ich zuerst auch, aber Frauen sind ja so dumm! Ich habe ihr sogar Andeutungen gemacht, dass es da einen netten Kerl gibt, der sie auf Händen tragen würde, aber sie rafft es nicht!"
"Wie hat sie denn reagiert?"
"Ach, sie heult bloß rum, dass sie ihn ja noch so liebt und dass sie keinen anderen haben will. Ich meine, es ist schon zwei Wochen her! Sie sollte doch langsam hinwegkommen und sich nach dem Richtigen umschauen!"
"Frau Reporterin, was meinen Sie denn dazu?"
"Naja", sage ich zögernd, "du musst vielleicht bedenken, manche Menschen brauchen länger, um eine Trennung zu verarbeiten."
"So ein Schwachsinn! Als damals die Susi aus dem Chat mit mir Schluss gemacht hat, habe ich ihr nicht hinterher getrauert, die war eh eine dumme Kuh, die keine Ahnung vom Zocken hatte. Da hab ich gleich die Melanie angeschrieben ..."
"Ja, aber deine beste Freundin muss ja nicht genauso denken wie du. Vielleicht braucht sie im Moment ja erstmal deinen Beistand als Kumpel."
Das hätte ich nicht sagen sollen.
"Immer die Friendzone!", wettert Jürgen. "Ich würde alles für sie tun, aber was bringt es mir? Sie läuft ja immer irgendwelchen Typen hinterher, die keine Ahnung haben, wie man eine Frau behandelt. Und mir sagt sie immer, ich sei nicht ihr Typ ..."


"Dann vergiss sie!", mischt sich ein netter Kerl ein, der mit verschränkten Armen neben mir sitzt. "Genieß dein Single-Leben, dann kann dich wenigstens kein Weib ausnehmen, so wie mich."
"Erzähl doch der Dame von der Presse, was du erlebst hast."
Der Betroffene lehnt sich eindringlich zu mir vor. "Naja, manchmal glaube ich, die Weiber stehen wirklich nur auf Kerle, die sie wie Dreck behandeln. Und die Kerle, die nett zu ihnen sind, lassen sie irgendwann fallen und krallen sich so ein Arschloch."
"Wie meinst du das?"
"Naja, meine Ex zum Beispiel. Ich habe alles für sie gemacht, alles für sie gezahlt, was sie wollte. Sie brauchte mich nicht einmal darum bitten, ich habe ihr alles geholt. Und was macht sie? Lässt mich sitzen, weil sie meint, sie kommt mit meinem Charakter nicht klar! Als ob Taten nicht lauter sprechen als Worte!"
"Aber irgendeinen Grund musste es ja geben", werfe ich kleinlaut ein.
"Ach, sie hat irgendwas geblubbert von wegen, sie erträgt meine Stimmungsschwankungen nicht. Nur weil ich ein paar mal ausgetickt bin, weil ich es nicht mehr aushalten konnte!"
"Konntest du denn nicht mit ihr über deine Probleme reden?"
"Keine Ahnung, ich war ja zu sehr damit beschäftigt, ihr zuzuhören, wenn sie Probleme hat!"
"Aber sollte es kein Austausch unter Partnern sein ...?"
"Ich wäre doch ein Waschlappen, wenn ich ständig so rumheulen würde wie sie. Und überhaupt, warum kann sie mir nicht einfach verzeihen? Ich habe mich jedes Mal entschuldigt, hab ihr ständig Geschenke gemacht."


Langsam verliere ich die Geduld und wende mich an den Diskussionsleiter.
"Hören Sie, ich habe schon viele wertvolle Einblicke gesammelt, aber jetzt muss ich langsam gehen."
"Bleiben Sie doch noch bis zum Ende der Sitzung, Sie haben doch noch gar nicht alle Schicksale gehört!"
Der schenkungsfreudige Choleriker grätscht dazwischen: "Da sieht man es wieder, keine Frau hat Zeit, keine Frau interessiert sich für unsere Probleme, aber wir müssen immer springen!"
"Am Ende kommen wir in dem Artikel noch total klischeehaft weg", setzt der verhinderte Adonis hinzu, "wie ein Haufen Verlierer, die einfach keine Ahnung haben von Frauen."
"Bestimmt nicht", versichere ich, "ich habe mir ein objektive Bild gemacht, es ist nur, ich muss wirklich los."
"Bestimmt zu einem Date!", verdreht der Nerd die Augen.
"Nein, aber heute ist noch ein Raid geplant", erwidere ich. Beim Verlassen des Raums bin ich um eine Handynummer reicher.

Herzlichen Dank für die Inspriation an den erzählmirnix Blog, dessen Autorin die Nette-Kerl-Problematik in einem Comic wesentlich knapper zusammengefasst hat als ich Plappertasche es jemals könnte.


Höhenflug

Die Passanten, die sons als Pappkameraden an dir vorüberschwebten, bekommen ein Gesicht und du begrüßt sie.
Du plapperst, wie ein LSD-getränkter Wasserfall.
Du erklärst einem Touristen, der kein Wort einer einzigen Sprache versteht, mit Händen, Füßen und Enthusiasmus den Weg zu einem Ort, von dem du eine nur sehr ungefähre Vorstellung hast.
Du hast einen sonnengeblendeten Tunnelblick. 
Du steckst ein schmollendes Kleinkind mit deinem Grinsen an und freust dich über das angesabberte Stück Breze, das es dir als Zeichen seiner ewigen Freundschaft in klebrigen Patschehänden entgegen streckt.
Du fühlst dich unverwundbar.
Du wippst zu Songs mit, die du ansonsten im Shuffle-Modus deines Players gleich weitergedrückt hättest.
Du überspringst Treppenstufen.
Du fällst flüchtigen Bekannten um den Hals, als wären es beste Freunde.
Du verlierst jegliches Zeitgefühl.
Du bist glücklich.