Montag, 18. November 2013

Stilblüten mit und ohne Dornen

Wie viel Unsinn man mit Menschen so über die Zeit plappert, bemerkt man erst, wenn man sich angewöhnt hat, die Sprüche, die einem in Erinnerung geblieben sind, zu notieren. Das Ergebnis jahrelangen Bullshittings ist folgende kleine Compilation. Garantiert keine millionenfach auf Instagram durchgekauten Zitate von Berühmtheiten, sondern Aufgeschnapptes aus dem ganz normalen Wahnsinn. Und wer sich als Urheber des einen oder anderen Spruchs wiedererkennt, sollte sich, bevor er gegen mich klagt, eher geschmeichelt fühlen - hey, ich finde euch schlagfertig!

"Du hältst mich wohl für die letzte Schlampe, oder?"
"Nein, für die erste!"

"Im Dunkeln seht ihr alle viel besser aus."

"Warum interessieren sich immer nur Jüngere für mich?"
"Weil du ihnen Süßigkeiten und Babykaninchen versprichst?"

Beim Kellnern: "Drei Spezi für den Tisch da hinten. Und für mich die Gnadenkugel."

"Soll ich was kochen oder willst du?"
"Du stehst näher am Herd. Du kochst."

"Gehen, wir in die Kantine, da gibt's was zu essen."
"Hast du etwa Hunger?"
"Nee, Durst."

"Igitt, du lebst in Bayern und sagst BRÖTCHEN?!"
"Ich bin ganz hart, manchmal sage ich sogar FRIKADELLE!"

Freud'scher Versprecher: "Wie soll ich ihm jetzt in die Augen treten?"

"Häng ihn nicht zu hoch. Aber häng ihn."

"Männer haben immer ihr Feuer in mehreren Eisen. Äh, ihr Eisen in mehreren Feuern. Äh... vergiss es."

"Ich fühle mich gerade wie Napoleon bei Waterloo ... oder wer hat da noch mal gewonnen? Ach so, Napoleon hat verloren? Mein ich doch!"

"Boah, warum hast du ihm nur davon erzählt?"
"Er war doch selbst dabei!"

"Irgendwas habe ich heute scheiße gefunden, aber ich weiß nicht mehr, was es war."

"Ich bin krank, mir geht's gerade echt dreckig."
"Oh, kann ich dir etwas bringen?"
"Den Tod?"

"Ich will sie adoptieren!"
"Bloß nicht! Wenn du für sie das Sorgerecht bekommst, würdest du sie auf den Strich schicken!"

"Wir komischen Vögel sind doch dafür da, uns gegenseitig hochzuziehen."
"Aber hoffentlich nicht am Galgen."

"Und das machst du seit deiner Geburt oder noch länger...?"

"So behandelt man doch keine Frau!"
"Du bist keine Frau, du bist Metallerin!"

"Boah, der Sturm da draußen hat mich fast weggefegt!"
"Cool! Das nächste Mal binde ich dich an einen Faden und verwende dich als Drachen!"

"Wie werde ich Ask als Suchmaschine los?"
"Indem du deine Festplatte formatierst und dann verbrennst!"

"Spielen wir Flaschendrehen!"
"Okay, du da, leg dich in der Mitte auf den Boden!"


"Lass das Schleimen, sonst rutscht du noch aus."
"Kann mir nicht passieren, ich hab Gummistiefel an!"

"Ich nehm Bier mit!"
"Ich nehm Durst mit!"

"Ich habe noch alle Tassen im Schrank!"
"Ja, aber der Schrank ist umgefallen."

"Das ist Mobbing am Arbeitsplatz, was ihr da macht, wisst ihr das?"
"Nein, wieso? Mobbing wäre es erst, wenn sie dabei ist!"

"Gib mir ein Messer, ich will jemand töten!"
"Kommt nicht in Frage."
"Wieso nicht?"
"Du kannst doch selbst in die Küche gehen und dir eins holen!"

"Heute koch ich was Leckeres!"
"Okay, aber vergiss nicht, die Arsenmenge auf das Körpergewicht abzustimmen!"

"Kamillentee?! Ich trink' doch keine Blumen!"

"Sie mag Zaz, das macht sie schon mal sympathisch."
"Pah, bloß weil sie auf Französisch steht!"

Montag, 4. November 2013

Der Mimimist: ein Gesamtkunstwerk

Mit Verbreitung der Social Media, die jedem Wehwehchen eine mächtige Stimme verleihen, hat sich eine revolutionäre neue Kunstform herauskristallisiert: der Mimimismus.
Vertreter dieser Strömung zeichnen sich - wie alle wahren Künstler - durch eine besondere Sicht auf das Weltgeschehen aus. Zielsicher rückt ihr leidgetrübter Blick die wahren Katastrophen der Welt in den Fokus: Regenwetter, abgebrochene Fingernägel, ausbleibende Likes bei Facebook.
Um den Mitmenschen die Augen für das Leiden zu öffnen, produziert der Mimimist im Sekundentakt bedeutungsschwangere Gefühlsupdates. Damit die ignorante Gemeinde ja nicht übersieht, wie verkannt, einsam und verloren der Mimist im Moment ist. Und in zwei Stunden sein wird. Und übermorgen auch.

Die Welt ist schlecht, vergänglich und trist - diese Philosophie kennen wir doch irgendwoher. Und zwar von ungewaschenen Perückenträgern, die ihrem Weltschmerz in prunkvollen Orgien (Partymotto: "Memento mori") davontanzten, im Jahre des Herrn Sechzehnhundert-ich-sterbe-gleich.
Aber im Unterschied zu ihren barocken Urahnen sagen die Mimimisten nicht "Die böse Welt geht morgen unter, also haue ich heute auf den Putz, und wenn sie morgen nicht untergeht, dann feiern wir da weiter" ... nein, das wäre ja Mainstream und eine Verleugnung ihrer tiefen Gemütsregungen.
Nein, der Mimimist überdauert die grauen Stunden vor der Apokalypse in seinem voll vernetzten dunklen Kämmerlein und harrt, leise schluchzend, der Dinge, die da kommen. Was bleibt ihm auch anderes übrig, wenn die herzlosen Menschen um ihn herum weder Zeit noch Gehör für ihn finden und nicht bereit sind, ihr schnödes Tun ruhen zu lassen, um dem Leidenden zur Hilfe zu eilen. 

Und wenn sich doch einer der Herzlosen dazu herablässt, dem Mimisten mit einer helfenden Hand oder einem Rat (die Palette reicht von "Geh doch mal raus" bis "Hör auf zu heulen, das will keiner hören"!) beizustehen, wendet sich dieser mit einem gequälten Lächeln ab. Dieses manifestiert sich in seiner bevorzugten elektronischen Ausdrucksform in bitteren Kommentaren wie "Ihr versteht nicht, was ich durchmache, ihr könnt ja gut reden, aber wenn ihr an meiner Stelle wärt, würdet ihr euch genauso fühlen! Ihr redet nur, aber helfen tut mir keiner!"
Der Mimimist legt nämlich eine Kritikresistenz an der Tag, von der seine verkannten Vorgänger nur träumen können. Jeder Versuch von Banausen, seine düsteren Gedanken als Gejammer abzutun, jegliche Blasphemie in Form eines nüchternen Lösungsvorschlags wird gekonnt als Vorlage für weitere Kunstwerke des Leidens verwendet. Im Fundus des Mimimisten findet sich vielfältiges Handwerkszeug, den Kritikern zu trotzen: Ignorieren, Ausweichen, nebulöse Vorwürfe oder betretenes Schweigen, wenn er verbittert einsieht, dass er die Massen nicht zum Mitgefühl bekehren kann.

Liebe Nicht-Mimimisten, lasst euch sagen: Ihr versteht gar nichts! Die Ausführungen des Mimimisten sind kein Gejammer, sondern eine Kunstform. Er will keine Ratschläge hören, sondern ... was eigentlich? Ein weiterer charakteristischer Zug dieser Zunft ist nämlich, dass man ihren Vertretern es nicht recht machen kann. Da telefoniert man stundenlang oder eilt durch die Nacht, dem Mimimisten in seinem Leid beizustehen, weil man seinem schluchzenden Lockruf folgte ... und stellt am nächsten Morgen beim Durchschauen der Facebook-Updates fest, dass man doch nur als Muse gedient hat für weitere Ergüsse darüber, wie sehr der Mimimist von allen in Stich gelassen und verachtet wird.

Ich bin dafür, ein Museum des Mimimismus zu erbauen. Und so fest, wie die Künstler überzeugt sind, dass sich keiner dafür interessieren wird - es wird aus allen Nähten platzen.

Freitag, 4. Oktober 2013

Akte Arschloch

"Männer und Fraun sind das nackte Graun,
wenn sie sich stundenlang tief in die Augen schaun,
und die Frauen andren Fraun ihre Männer klaun,
und die Männer sowieso nur Scheiße baun."


Ein Körnchen Wahrheit muss in diesem Ärzte-Lied stecken – warum sonst singen wir immer wieder mit, obwohl es schon mindestens ein halbes Jahr regelmäßig aus dem Autoradio dudelt?
Um der Emanzen-Keule auszuweichen: Nicht alle Männer bauen Scheiße, wohlgemerkt. Nur die spezielle Unterart "Arschloch", deren Population sich dank der evolutionären Vorteile jedoch von Jahr zu Jahr (oder in der subjektiven Sichtweise "lebenserfahrener" Frauen: von Beziehung zu Beziehung) exponentiell steigert.
Aber woraus bestehen diese evolutionären Vorteile, die dazu führen, dass sich die Arschlöcher stets aus Jagdgründen voller williger Frauen bedienen, während ihre weniger anpassungsfähigen Zeitgenossen (auch "nette Kerle" genannt) sich seit Jahren mit einem halbherzigen "Hallo, wie geht's" der heimlich Angebeteten sowie beinahe ebenso unnerreichbaren Pixel-Busenwundern über Wasser halten?
Meine Feldstudien haben einige Lösungsansätze ans Tageslicht gebracht, die so bahnbrechend sind, dass sie bereits von sämtlichen Frauenzeitschriften (dazu zähle ich auch "Men's Health") durchgekaut wurden.
Und dennoch lernen wir nichts dazu – so leicht lassen sich die perfiden Mechanismen der weiblichen Psyche nicht umprogrammieren. Die da wären:


  1. Frauen sind das wahre starke Geschlecht.
    Man kann es Mutterinstinkt nennen oder das Engel-Phänomen (einen Autopsiebericht desselbigen lest ihr hier), Tatsache ist: der weibliche Beschützertrieb gleicht einem Filter, der nur die kaputten, verletzten oder in irgendeiner Form "unfertigen" potentiellen Geschlechtspartner ins Sichtfeld oder gar ins Herz der beziehungswilligen Frauen diffundieren lässt.
    Anders als Raubtiere, die dank desselben Radarsystems Beutetiere ausfindig machen, tun Frauen dies mit einem hehren Ziel: den Angebeteten aufpäppeln, beschützen, retten und ihm wieder einen Glanz in die gequälten Augen zaubern (letzteres gelingt am besten postkoital). Sei es durch nächtliche Seelenschmerz-Telefonate, Geldspritzen oder etwaige Liebesdienste: Der arme Auserwählte wird augenblicklich in einen Kokon aus Verständnis, Zuneigung und Selbstaufopferung gehüllt, denn...

  2. Arschlöcher sind vom Leben gezeichnet und müssen gerettet werden!
    Weder diesen starken Frauen noch ihren Arschloch-Auserwählten scheint die Binsenweisheit "Karma is a bitch" ein Begriff zu sein. Nein, eine gescheiterte Existenz ist das Arschloch natürlich nicht aus Eigenverschulden, sondern, weil ihm das Leben chronisch übel mirgespielt hat.
    Wenn der Angebetete mit Ende zwanzig noch bei Mutti logiert, liegt es daran, dass sie ihn schlimmer tyrannisiert als Kim-Jong das gangnamstyle-freie Nordkorea. Wenn er keinerlei Karriere vorzuweisen hat außer unqualifizierten Gelegenheitsjobs, dafür aber eine Latte an gescheiterten Beziehungen, gegen welche die Chinesische Mauer aussieht wie Nachbars Gartenzaun, ist dies nur ein trauriger Beweis für die Ungerechtigkeit der Menschen.
    Seine Exfreundinnen? Allesamt eifersüchtige Psychopathinnen und promiskuitive Lügnerinnen, die die Gutherzigkeit des Armen ausgenutzt und ihn dann verlassen haben, als es nichts mehr zu holen gab. In seltenen Fällen hatte der gepeinigte Traummann schweren Herzens selbst einen Schlusstrich gezogen, weil er diesen Hexensabbat auf seinem Nervenkostüm nicht mehr ertragen konnte.
    Analog wussten die ehemaligen Chefs – falls vorhanden – das Engagement des unqualifizierten Hotel-Mama-Bewohners einfach nicht zu schätzen. Und falls dem Arschloch wenigstens die traumatisierende Begegnung mit der Berufswelt erspart geblieben war, dann natürlich nicht wegen mangelnder Bildung oder Arbeitsmoral, sondern weil ihn entweder die lädierte Psyche (siehe oben) oder ein seltenes körperliches Gebrechen davon abhielten. So bekommt das Arschloch beispielsweise alleine beim Gedanken an Arbeit Depressionen oder unerklärliche Migräneanfälle, alsbald krümmt sich sein ohnehin gramgebeugter Rücken vor Schmerzen, die jede körperliche Tätigkeit unmöglich machen.
    Was bleibt da der neuen Flamme übrig, als sich in eine glänzende Paladinsrüstung zu werfen (mit vorteilhaftem Dekoltee, natürlich), sich auf ein weißes Ross zu schwingen, dem geschwächten Gefährten aufsitzen zu helfen und mit ihm in eine bessere Zukunft zu galoppieren? Hand auf's Herz -
  1. Jede Frau will die Eine sein.
    Und das geht natürlich nur, wenn sich die Herzensdame immer und überall als Ausnahme von der Regel stilisiert und ihrem Geliebten zeigt, dass es noch Menschen gibt, die es gut mit ihm meinen. Indem sie dem Arschloch dann aufhilft, wenn die boshaften Mitmenschen ihn fallen lassen würden. Sich wund arbeitet, wo andere Hilfe verweigern würden. Und erduldet, erduldet, erduldet.
    Seitensprünge werden verziehen, Ausraster und schizophrene Schübe Wunden leckend weggelächelt, blanke Ignoranz toleriert – das sind doch alles nur Symptome einer gequälten Seele und Versuche, die Liebste auf Distanz zu halten. Verständlich, ist das Arschloch doch gewöhnt, von nahe stehenden Menschen verletzt zu werden.
    Aber auf diese Abwehrmechanismen fallen wir nicht rein, nein, wir besiegen das System und halten tapfer alle Krisen durch, bis Mr. Right endlich geheilt ist und die emotionalen Investitionen Rendite bringen. Schließlich will sich keine Frau in die Riege der diabolischen Exfreundinnen einreihen, die diesen Jackpot vom Mann mangels Anstand und Geduld fallen ließen. Wenn nicht wir den Prinzen retten, wer dann? Dann ist sein Weltbild für immer zerstört und der Ärmste ist verloren. Also nix mit "the one that got away" – "the one that settled" ist das Credo starker Frauen!

  2. Arschlöcher sind nur Traummänner, die sich nie ausleben durften.
    Natürlich ist keine Frau so naiv, rein aus Mitleid mit einem hoffnungslosen Fall zusammenzukommen oder, Gott bewahre, zusammenzubleiben. Wir stehen den Kampf um die Seele des Liebsten durch und trotzen den Drachen seiner Psyche, weil wir uns das flammende Banner seiner Tugenden vor Augen halten.
    Wer, wenn nicht er, würde uns solch romantische Gedichte schreiben, denen schiefe Reime und metrische Stolpersteine erst die Würze und Authenzität verleihen? Wer sonst würde mit seiner Spontaneität und seinem tiefen Wissen um unsere Wünsche sogar einem Geschenk aus dem Ein-Euro-Laden mit emotionaler Bedeutung aufwerten?
    Obendrein trägt unser Plan, die Eine zu sein, erste Früchte – mit seinen gewissenlosen Verflossenen hat der Liebste garantiert nicht so intensiv übers Heiraten und Kinderkriegen gesprochen wie mit uns. Genauso wenig, wie er vor diesen Harpyen sein Herz so ausschütten konnte. Seine empfindsame Seele spürt nun mal, wer es wirklich ernst mit ihm meint, und genauso ernst meint er es mit uns. Wir müssen uns nur in Geduld üben; solch große Zukunftspläne brauchen Zeit, sich zu entfalten. Immerhin spart Mr. Right schon auf einen Verlobungsring, den er uns mit einer groß angelegten romantischen Geste überreichen wird. Irgendwann.
    Bis dahin wärmen wir uns an immateriellen Werten, an Sätzen, die seine Liebe und seine Einzigartigkeit besiegeln: "Ich bin immer ehrlich zu dir", "Du bist etwas ganz Besonderes", "Ich bleibe dir immer treu", und ... das ultimative Sesam-Öffne-Dich für Herzen (und Bhs): "Ich war noch mit keiner Frau so glücklich wie mit dir".


Eine solche Liebe ist prädestiniert dafür, ewig zu halten. Umso härter fällt die edle Retterin aus allen Wolken, wenn der vermeintlich unbewaffnete Schützling aus den Untiefen des Rosenrkriegs-Arsenals den Hammer hervorholt: "Wir haben uns auseinandergelebt."
Wobei, auch hier beweist der Liebste nichts als grenzenlose Feinfühligkeit. Die Dame, deren Rettungsversuche für sein Nervenkostüm nicht mehr tragbar waren, verschont er mit den wahren Gründen der Trennung. Diese spart er sich für Freunde (ja, genau die, die ihn immer hängen lassen), vielversprechende weibliche Bekanntschaften und Mutti auf. Ihnen offenbart er kummervoll die harte Realität: Unter der schilldernden Paladinsrüstung seiner Liebsten hat sich mit der Zeit ein eifersüchtiges, klammerndes, unreifes Herz offenbart – genauso schwarz und verdorben wie die Pumporgane ihrer Vorgängerinnen. Sie war doch nicht die Eine. Aber wer so oft verletzt wurde, verträgt gerade noch so auch diese Enttäuschung. Klappe, die nächste!


Samstag, 29. Juni 2013

Früher war alles besser. Pepperidge Farm remembers.



„You either die a hero or live long enough to see yourself become the villain” - wie oft wurde früher dieser Spruch auf 9gag zitiert, in allen möglichen Zusammenhängen? Traurigerweise umschreibt er mittlerweile die Entwicklung der Seite. 

Über 9gag könnte man ganze Sozialstudien schreiben, schließlich war die Seite früher so etwas wie das Sprachrohr des kleinen Mannes. Okay, genauer gesagt, das Sprachrohr kindlicher, erfolgloser Kultisten einer nerdigen Katzensekte, aber der Punkt ist: Man brauchte keine Nachrichten lesen, um zu wissen, was in der Welt geschah. Man durchforstete 9gag wie die Morgenzeitung und erkannte aktuelle Entwicklungen daran, wie sie in Ragecomics und alten Meme-Prototypen durch den Kakao gezogen wurden. Belohnt wurde man mit HD-Bildern neuer Weltwunder, aus dem Leben gegriffenen Comics, interessanten Life-Hacks und natürlich – Katzenbildern.

Das war, bevor sich auch diese Funpage der Idiokratie unterwarf und pubertierende Hipster, die mangels Kreativität auf Instagram und Tumblr unbeachtet versauerten, getrieben von ihrem „Bitte nehmt mich ernst, auch wenn man auf meinem Profilbild in Facebook mehr Ausschnitt als Gesicht sieht“-Weltschmerz das Ruder übernahmen. Und alles, was früher die einzigartige 9gag-Kultur ausmachte, verflachte.

Bekannte Situationen des alltäglichen Lebens pointiert abzubilden („relatable post“), den ganz normalen Wahnsinn in 1-2 Sätzen auf den Punkt zu bringen ist eine Sache. Belanglosigkeiten in banalen Konstruktionen breitzutreten ist eine ganz andere.
Natürlich machen sich Leute, die die richtige Verwendung von Memes viel zu eng sehen, fast genausoviele Freunde wie Zwangsneurotiker, die mit hektischen roten Flecken im Gesicht immer und überall Grammatik und Rechtschreibung korrigieren. Leider ist die Meme-Verwendung mittlerweile so vorhersehbar, dass Puristen der alten Schule beim besten Willen nicht auf ihre Kosten kommen. Die Grundaussagen der gängigsten 9gag-Helden sind immer die gleichen.

Scumbag Stacy: „Mimimi, meine Ex war böse zu mir, aber ich habe es mit mir machen lassen, weil sie verdammt scharf war, genau wie die Porno-Queen auf dem Bild, deshalb mache ich ganz viele Posts über meine böse Ex, um den heißen Meme zu besabbern.“
Scumbag Steve: „Mein Kumpel ist so gemein, der nutzt mich aus, macht mich psychisch fertig, hilft nie mit und verwüstet meine Bude. Aber da ich weder Rückgrat noch richtige Freunde habe, lasse ich es ihm durchgehen und kanalisiere meine passiven Aggressionen in einen langweiligen Post.“
Confession Bear: „Ich bin so mutig und gebe in der Dorfanonymität des Internets mein dunkelstes Geheimnis preis – manchmal pinkele ich ins Schwimmbecken. Aber verurteilt mich nicht, denn bestimmt habt ihr alle schon mal ins Schwimmbecken gepinkelt. Also ehrt mich gefälligst mit Likes, weil ich etwas zugegeben habe, das niemand wissen wollte!“
Advice Duck: „Ernähre dich gesund, bleibe deiner Freundin treu, lüg nicht, stiehl nicht, lass dich nicht auf falsche Menschen ein, mach immer deine Hausaufgaben. Befolge also die Binsenweisheiten deiner Eltern, auch wenn sie in ihrer Erziehung so versagt haben, dass du mehr auf eine Ente hörst als auf sie.“  
Bad Luck Brian: „Ich bin miserabel dran, aber um mich selbst aufzubauen, erfinde ich Worst-Case-Szenarios, wie jemand noch miserabler dran sein könnte. Haha, ist das nicht witzig? Bin ich froh, dass ich nicht so ein extremer Pechvogel bin!“
Success Kid: „Juhu, ein Mädchen hat mich angeschaut! Endlich hat sie mich bemerkt und sich über beide Ohren in mich verliebt. Jungfräulichkeit ade! Außerdem musste ich heute beim Gamestop nicht Schlange stehen, und einen Glückscent habe ich auch auf der Straße gefunden. Bin ich nicht toll?“
Und das alles gekrönt von dem obligatorischen Titel: „Das ist mir heute erst passiert, kein Scheiß! Okay, letzte Woche. Okay, nicht mir, sondern dem Bruder eines Schwagers. Okay, es nicht nicht wirklich passiert, sondern ich habe von jemand aufgeschnappt, dass er gelesen hat, dass sowas vielleicht in der Realität möglich ist.“

Sollte im Internet das Prinzip „Abstimmen durch Klicks“ nicht wunderbar funktionieren?
Klar, 9gag definierte sich seit eher als ein Verband von Individuen, die, mangels der Fähigkeit oder Motivation, Missstände aktiv zu verändern, lieber Witzchen über diese reißen. Aber gerade hier hätten sie eine reale Chance, Banalitäten und Einheitsbrei von der Hotpage zu verbannen! Wenn also all die Lager der Kommentatoren, von Grammar Nazis über zeigefingerwedelnde Gutmenschen bis hin zu „Oh, Titten!“-Einfaltspinseln, geschlossen dem Verfall den Rücken kehren, könnte 9gag vielleicht sogar wieder witzig werden. 9gag 2.0.

Vielleicht ist es aber auch schon zu spät. Vielleicht sollte man einfach Grumpy Cat mit Scumbag Steve kreuzen, diese apokalyptische Kreatur auf 9gag loslassen und entspannt zusehen, wie die herzzerreißenden Posts frustrierter 13-jähriger Hipster in einem Inferno aus Dislikes und zynischen Kommentaren untergehen. 9gag ist tot, es lebe 9gag!

Samstag, 23. Februar 2013

"Gott weiß, ich will kein Engel sein ..."

Die Frauen kennen diese Spezies, mussten sie doch mindestens einmal in ihrem Leben ihren Vertreterinnen eine tröstende Schulter zum Ausweinen hinhalten. Die Männer kennen sie noch besser - schließlich ist das starke Geschlecht in 90 % der Fälle der Grund fürs Ausweinen. Jeder von ihnen hat (laut Aussage dieser Spezies) einer Vertreterin von ihnen schon mindestens einmal das Herz gebrochen.

Die Rede ist von dem Typus Frau, den ich gerne als den "handelsüblichen Engel" bezeichne.
Manchen von ihnen sieht man die Zugehörigkeit zu dieser höheren Rasse nicht sofort an. Sie tarnen sich gekonnt mit knappen Miniröcken (damit man dem ewig leidenden starken Geschlecht bequem zur Hilfe eilen kann), marialischen Dekoltes (um das große verwundete Herz zu präsentieren) und viel Schminke (um die Tränenspuren zu übertünchen).
Oftmals suchen sie sich unerwartete Orte aus, um von dort aus Liebe und Wärme in der Menschheit zu verbreiten: Bars, Diskotheken, zwielichte Ansammlungen nicht ganz nüchterner Menschen im Allgemeinen. Denn wo sonst trifft man mit so hoher Wahrscheinlichkeit auf gescheiterte Existenzen, die es mit viel Geduld aufzupäppeln gilt - das täglich Brot, äh, Ambrosia dieser Spezies?

Eines haben alle Engel gemeinsam, sonst wären es keine: Sie träumen von der perfekten Beziehung. Von bedingungslosen Liebe, Vertrauen, Respekt und davon, mit ihrem Auserwählten Hand in Hand über eine Blumenwiese zu traben. Diesen Traum im Auge, empfangen sie jeden Mann, der mit Worten, oder mit seinem Körper, oder mit irgendetwas - oft genug auch mit gar nichts - einigermaßen umgehen kann, mit offenen Armen und offenen Beinen.

Dann hebt der Engel seinen Auserwählten über die schnöde, graue, herzlose Welt hinaus und trägt ihn mit ekstatisch flatternden Flügeln in ein besseres Leben - mit Zwischenstopp zum Bierholen, wohlgemerkt. Wie ein Komet zieht diese hell und rein strahlende Liebe über das Firmament. Leider kommt kurz nach der alles verändernden Erkenntnis, seine perfekte Hälfte gefunden zu haben (und Engel haben in der Regel mehr als genug Erfahrung, um so etwas sofort beurteilen zu könenn), die Landung. Die für den Engel oft mit mehr als nur ein paar geknickten Flügelfedern endet. Beim Richten dieser entsteht zwischen der armen Seele und dem Gegenüber, der gerade das Pech hatte, zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein, ein oft gehörter Dialog.

"Mein Freund hat mich verlassen, ich vermisse ihn so sehr."
"Wie lang wart ihr denn zusammen?"
"Zwei Monate!" (oder drei, oder vier, oder doch nur ein paar Wochen - auffällig ist, dass der Zeitraum des paradiesischen Glücks selten die Halbjahresmarke überschreitet)
"Warum hat er dich verlassen?"
"Oh, ich glaube, er hat mich von Anfang an verarscht und es gar nicht ernst gemeint. Er hat mich betrogen/belogen/ausgenutzt/ignoriert" (die Liste ist lang, die Quintessenz: so behandelt man einen Engel doch nicht!)
"Sei doch froh, dass du den Deppen los bist."
"Nein! Ich will ihn unbedingt wiederhaben, ich liebe ihn so!"

Der Ausgang des Dialogs variiert je nach Geschlecht des Zuhörers.
Ist dieser weiblich, bekommt der Engel wahlweise Trost, Solidarität und die Ermutigung, dass andere Mütter auch schöne und vor allem treue Söhne haben (von geduldigen Zuhörerinnen), oder den Rüffel, wie man so naiv und blöd sein konnte (von Realistinnen).
Beim männlichen Zuhörer wird es interessanter. Hier bekommt der Engel sogar noch mehr Wärme, Verständnis, es wird ermuntert und über den herzlosen Geschlechtsgenossen gewettert. Es gibt Streicheleinheiten, liebe Worte und innige Umarmungen (wo sonst, außer in einer innigen Umarmung, kann man unauffällig und auf anständige Weise Brüste zu spüren bekommen?).
Bei soviel Sanftheit und Verständnis geht dem Engel natürlich sofort ein Licht auf. Der Engel blickt in die treuherzigen Hundeaugen des Trösters und erkennt darin seine wahre bessere Hälfte.
Und schon beginnt der Kreislauf von Neuem ...

Vielleicht täte es den Engeln gut, zu begreifen, dass der Weg zum Herzen eines Mannes nicht in seiner Hose beginnt. Und wenn doch, ist dieser Mann vielleicht nicht der Mr. Right, der von einer höheren Macht (der gleichen, die die Engel im Fließbandmanier produziert) dazu auserkoren ist, ihr geschundenes Herz zu heilen.